Kaschemme, punkt Acht

Text und Regie: Zeha Schröder - Mit: Zeha Schröder, Johan Schüling und Anke Winterhoff - Ort: anonyme Kellerkneipe (Hinterhof Nähe Ludgerikreisel, Münster) - Dauer: ca. 75 Minuten - Uraufführung: 16.11.2017
Ein charmanter Halunke, der die Polizei unzählige Male ausgetrickst hat. Ein Kommissar, der sich für Insiderwissen aus der Unterwelt interessiert. Beide verabreden sich zu punkt acht Uhr in einer schummrigen Kaschemme und loten den „Beginn einer wunderbaren Freundschaft“ aus…

Was ein bisschen wie das Drehbuch für einen stimmungsvollen Film noir klingt, hat sich - so oder ähnlich - tatsächlich zugetragen. Im Jahr 1809 macht der berühmte Ganove und Ausbrecherkönig Eugène François Vidocq dem Pariser Polizeichef Jean Henry ein unmoralisches Angebot. Vidocq ist der Inbegriff des sympathischen Schlitzohrs. Ein kleiner Ganove, der die französische Gendarmerie dutzende Male überlistet hat. Der in immer neuen Verwandlungen noch aus den besten Hochsicherheitsgefängnissen ausbrach, buchstäblich vor den Augen der arglosen Wachen. Und der, dank solcher Streiche, in der Unterwelt des nachrevolutionären Frankreichs zum Idol wurde.

Im Austausch gegen eine Amnestie bietet er dem Gendarmen seine Dienste als Spitzel an: „Ich bin ihr Nachschlagewerk – die Unterwelt von Paris in zwölf Bänden“. Was danach geschieht, ist Legende. Vidocq legt eine steile Karriere im Polizeidienst hin und wird zum Begründer der wissenschaftlichen Kriminalistik. Fingerabdrücke, Ballistik, Täterprofile – fast alle Methoden moderner Polizeiarbeit gehen auf den brillanten Franzosen zurück.

Theaterleiter Zeha Schröder hat die historische Begegnung der beiden ungleichen Männer anhand von Vidocqs eigenen Aufzeichnungen rekonstruiert. Mit Johan Schüling präsentiert er einen Hauptdarsteller, der den verschlagenen Charme des kleinen Gangsters so überzeugend verkörpert wie dessen fast dreistes Selbstbewusstsein. Und als absolutes Sahnehäubchen wird das Publikum an einen Spielort geführt, der in einen jahrzehntelangen Dornröschenschlaf versunken war:

Dort, in einem privaten Hinterhof mitten in Münsters Altstadt, führt eine Treppe ins Erdreich. An ihrem Fuß wartet der ehemalige Bierkeller einer Kneipe, die schon seit über einem halben Jahrhundert nicht mehr existiert. Diese Kaschemme könnte eine Gaunerspelunke sein, ein Treffpunkt für zwielichtige Gestalten und Umschlagplatz für unmoralische Angebote. Ein Ort wie aus der Zeit gefallen – funzelige Öllampen tauchen das Tonnengewölbe in ein unstetes Licht, und vor leeren Weinfässern sitzen die Gäste und schlürfen den selbstgebrauten Cidre der Wirtin.

Kurzum, ein überwältigend schöner Spielort für eine so wahre wie unglaubliche Geschichte. Einziger Wermutstropfen: Unsere Kaschemme ist ebenso winzig, wie sie atemberaubend ist. Nur zwei Dutzend abgezählte Gäste pro Abend erhalten von uns das begehrte Losungswort, das ihnen am Eingang abverlangt wird…